Lyrik und Poesie
- Mondgedichte -

Gedichte zum Abend und zur Nacht

Nachtgedichte, Mondgedichte

- Romantische Gedichte zur Nacht und zum Mond -

Nachtstück

Ich kann nicht schlafen!
O hülle die Gedanken mir in Nacht,
Der du in Nacht gehüllt hast deine Erde,
Und lass mich ruhen, da ich müde bin -
So müde! ...

Still liege ich und wage nicht zu atmen,
Und regungslos erwarte ich den Schlaf,
Und hoffe, wenn ich so die Glieder fessle,
Dass mir der Geist erlahmt in seinem Sprunge
Und sacht entschwinden wird in Nacht und Traum -
Still liege ich, erwarte meinen Schlaf ...

Wie ist es dunkel doch, so still und dunkel,
Und lautlos eilend schwebt dahin die Zeit,
Die knappen Stunden schonungslos verschlingend,
Die mir zu kargem Schlummer noch bemessen
Wohl fühle ich, wie leichte Traumeswellen
Die müden Sinne überflutend nahn -

Das ist dein Kommen, großer, heiliger Schlaf!

Noch höre ich das Pochen meines Herzens,
Und leise, leise, um es einzulullen,
Beginn' ich seinen hastigen Schlag zu zählen -
Ich zähle lange, und die Glieder ruhn ...

Doch wie ich zähle, wirft in meine Zahlen
Mir bunte Blumen meine Phantasie:
Ein abgerissenes Wort - verwirrte Blicke -
Ein süsser Duft, der einst den Sinn erfüllte -
Ein kurzes Schluchzen aus durchweinten Nächten -
Dann huscht ein Glanz aus fernen Jugendtagen
Vorbei und leuchtet und entschwindet - weit ...
Und wird zu einem altvertrauten Ton,
So lieb und fern, dass die Gedanken eilen,
Um ihn zu suchen und ihn festzuhalten -
Ein scheuer Vogel über dunklen Wassern,
So flattert meine Seele, ängstlich suchend,
Über den Tiefen der Vergangenheit ...
Und was ich that in meinen bösen Stunden,
In guten unterlassend nicht gethan -
Nun sucht es mich in meinen stillen Nächten
Und zieht vorbei wie wirre Wandelbilder,
Mich mit Erinnerung quälend heiss und schwer ...

Mit müder Hand zerwühle ich mein Kissen
Und berge tief den Kopf in seine Falten -
Ich will vergessen und vergessend ruhn!
Doch wie bewegt von einem fremden Willen,
Wälzt sich mein Leib im Fieber hin und her,
Mit heftigen Schlägen qualvoll klopft mein Herz,
So schmerzhaft, dass ich jene Stelle suche -
Ich will es meistern und zur Ruhe bringen,
Ich will dich zwingen, widerspänstiger Muskel,
Und dich, du toller zügelloser Geist -
Bin wehrlos ich in eure Macht gegeben? ...

Ich schmiege meine Glieder an einander
Und ball' sie in des Bettes Mitte fest,
Mit starkem Willen die Gedanken bannend -
Und wieder lieg' ich regungslos und warte ...
Dann fühl' ich mählig Ruhe mich durchdringen
Und lächle still - ein selig dankbar Lächeln -
Was Liebes, Gutes huscht mir durch den Sinn,
Noch eh' die Seele ihre Pforte schloss -
Und wieder lächle ich und sink' in Schlummer ...

Du trügerischer Schlummer, falsche Wohlthat,
Du nahmst mir das Bewusstsein meiner Sinne
Und gabst mich frei dem Wallen meines Blutes,
Und böse Träume füllen nun mein Hirn -
Ich sehe ekles Untier mich umschleichen -

Ein Grauen schüttelt mich - ich möchte fliehn -
Und rühr' mich nicht - ich seh' es näher kommen -
Ich fühl's herauf an meinen Gliedern kriechen ...
Da dringt ein dumpfer Angstschrei durch die Stille,
Ich schnell' empor und starr' entsetzt ins Dunkel,
Und zitternd, tastend sucht die Hand das Licht -
Als ob die Sonne in mein Zimmer träte,
So wohl wird mir beim Anblick seines Scheins!
Doch drüben von der Wand wirft mir ein Spiegel
Mein Bild zurück, ich schaue fremd hinein -
Wie müd' und trüb' die starren Augen blicken,
Von dunklen Rändern ringsum tief umschattet!
Den blassen Mund umziehen wehe Falten,
Von unterdrückten Thränen eingegraben,
Und bleich und hager sind die welken Wangen,
Das Haar zerwühlt und aufgelöst die Flechte,
Das Nachtgewand verschoben und zerdrückt, -
So trostlos-traurig bin ich anzusehn,
Dass jähes Mitleid mit dem eigenen Kummer
Vor diesem Bild mir heiss zu Herzen steigt.

Ich lehn' mich an des Spiegels kalte Scheibe,
Ich will nicht wieder in mein Bett zurück!
Mir ward es nicht zur Quelle süssen Friedens,
Ich fand nicht Ruhe drin und nicht Vergessen,
Noch Kraft zu tragen meinen neuen Tag.
Qualvolle Stunden gab es mir in Fülle,
Die Lust am Leben hat es mir geraubt
Und müde mich gemacht - so alt und müde.
Ich seh' es bitter an, wie es da steht,
Verwüstet und zerstampft, als ob ein Paar
Nach heissem Liebeskampfe es verlassen -
Und mich vertrieben wüste Träume draus!

Ein Frösteln schüttelt mich -
Ich steh' und starre stumpf ins Licht -
Es leuchtet mit gespenstig blauer Flamme -
Und zuckt - und flackert - und verlischt ...

Kalt bricht der Morgen in den dunklen Raum. -
Da plötzlich dringt mit schweren dumpfen Schlägen
Ein fernes Dröhnen her, zu mir herein,
Ein Brausen wie von mächtigen Orgeltönen:
Die Glocke, die mich einst zum Beten rief
Des Sonntags in entschwundnen Unschuldstagen ...

Ach, dass ich mich an Jenen wenden könnte,
Der Schlaf und Wachen schuf und Tag und Nacht!! ...

Ich schling' die kalten Finger ineinander
Und sinke hin auf meines Bettes Rand -
Und weine ...

(Thekla Lingen 1866-1931)

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