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Das vertauschte Weihnachtskind
Klein-Elsbeth war fünf Jahre alt und hatte es recht gut auf der Welt, denn erstens brauchte sie noch nicht in die Schule gehen, zweitens hatte sie in der schönen, großen Wohnung der Eltern ein eigenes Zimmerchen für sich, das voll niedlicher Möbel war, darunter ein Schrank ganz voll Spielsachen, und drittens hatte sie immer Unterhaltung, nämlich ein Fräulein, das immer bei ihr war und sich mit ihr beschäftigte, weil Papa meistens im Geschäft war und Mama viel schlafen und Besuche machen mußte. Wenn aber recht schönes Wetter war, durfte der Kutscher aufspannen, und dann fuhr sie mit Fräulein spazieren.
Na, der Kutscher! Den mochte sie zu gern. Der war immer so spaßig, und wenn er Besor-gungen gemacht hatte, brachte er ihr immer was zu naschen mit. Ihr einziger Kummer war, daß sie kein Brüderchen hatte, so eine richtige lebendige Puppe. Im ganzen Haus war sie das ein-zige Kind, auch Doktor Krauses im oberen Stock, die noch nicht lange eingezogen waren, hat-ten keine Kinder. Aber lieb war die Frau Doktor, Elsbethchen durfte manchmal zu ihr hinauf-gehen mit Fräulein, und dann spielte die Frau Doktor ganz richtig mit ihr, als wenn sie auch ein kleines Mädchen wäre.
Weihnachten
kam heran, und eines Abends erschien - rate mal wer? Der Knecht
Ruprecht.
Fräulein hatte schon vorher gesagt: Wo nur der Knecht
Ruprecht bleibt? Kommen wird er sicher. Wir müssen uns
nur überlegen, was wir uns zu Weihnachten wünschen,
damit wir ihm das sagen können." Das war nun eine
wichtige Sache. Es war denn auch eine ganze Liste zusammengekommen,
Fräulein hatte alles aufgeschrieben, und Elsbeth hatte
ihren Namen und die Straße und Hausnummer drunter schreiben
müssen, Fräulein hatte ihr die Hand geführt.
Und nun stapfte es vor der Tür, gerade, als Fräulein
das Märchen vom ehrlichen Laubfrosch erzählte, und
die Tür ging auf, und herein kamen Apfel, Nüsse
und eingewickelte Bonbons, und hinterher der Ruprecht. Er
brummte wie ein Bär durch seinen weißen Bart und
sprach beinahe so wie Heinrich der Kutscher, Elsbeth mußte
beten, und dann sollte sie sich etwas zu Weihnachten wünschen.
Da holte Fräulein den Zettel für Elsbeth und auch
ihren eigenen, und der Ruprecht ging damit ab. Elsbeth war
ja nun sehr befriedigt, und Fräulein half mit auflesen;
auf einmal aber schrie Elsbeth: Fräulein, Fräulein
-!" Was denn?" Ich habe was vergessen."
Was hast du denn vergessen?" Ich will ja ein kleines
Brüderchen haben, das ist die allergrößte
Hauptsache. Hole doch den Ruprecht noch einmal!" Schade,
der ist aber schon weit fort. Weißt da was? Wir schreiben
an ihn einen Brief. Die Post weiß gewiß seine
Adresse."
Das
war ein Trost. Fräulein nahm Papier und Feder, und Elsbeth
mußte diktieren. Lieber Knecht Ruprecht! Entschuldigen
Sie, wenn ich störe" - so sagte nämlich Fräulein
immer zur Mama - ich wünsche mir am allermeisten ein
kleines Brüderchen, bitte, bitte! Es grüßt
Sie Ihre Elsbeth." Die Adresse schreibe ich dazu,"
sagte Fräulein und die auf das Kuvert auch."
Die Marke darf ich lecken, nicht?" Für den Ruprecht
brauchts keine." Aber Elsbeth wollte lieber sicher
gehen und ließ nicht nach, bis eine Marke aufgeklebt
war; und nachher war sie sehr energisch dagegen, daß
Minna, das Stubenmädchen, den Brief in den Briefkasten
trug, Fräulein mußte mit ihr über die Straße
gehen und sie heben, so daß sie den Brief selber einstecken
konnte. Fräulein lachte heimlich. Der Briefkasten gehörte
nämlich nicht der Post, sondern einem großen Kohlengeschäft.
Die Leute würden sich dort schön wundern! Darauf
gingen die beiden wieder Äpfel, Nüsse und Bonbons
zusammenlesen.
Der Tag zu Heiligabend war gekommen und Klein-Elsbeth in wahrem Fieber vor Erwartung. Das Brüderchen mußte doch sicher kommen; bis jetzt hatte der Weihnachtsmann immer alles gebracht, was sie sich gewünscht hatte. Wenn bloß der Brief richtig angekommen war! Papa und Mama wußten natürlich von dem bevorstehenden Familienzuwachs. Elsbeth war anfangs dafür gewesen, sie zu überraschen, aber sie hatte doch auf die Dauer ihr Geheimnis nicht bei sich behalten können. Und Mama hatte gesagt: Es ist nur gut, daß ich es weiß, da muß ich doch Steckkissen und Windeln instand setzen." Aber das sage ich dir, Mama, es ist meins!" hatte Elsbeth sehr entschieden gesagt. Das du mirs nicht etwa nachher fortnimmst und sprichst, es wäre deins!" Ei, wo werde ich denn," hatte Mama geantwortet. Nun wars draußen dunkel, in der Gegend des Wohnzimmers allerlei Getrappel und Gemunkel. Elsbeth, die atemlos mit Fräulein in ihrem Zimmerchen wartete, hörte es und trippelte wie ein Irrlicht herum vor Ungeduld. Draußen läuteten die Glocken. Dann klingelte es. Fräulein, schnell -!"
Da
war die Weihnachtsstube, mit Papa und Mama und dem Weihnachtsbaum
und lauter Herrlichkeiten auf Tischen und Stühlen. Und
die Eltern, beide lachten ganz glücklich: Sieh doch dort,
Elsbethchen, das ist deins, was der Weihnachtsmann dir gebracht
hat." Aber die großen Kinderaugen von Klein-Elsbeth
suchten, suchten, und das Gesichtchen wurde immer kläglicher
-Wo ist denn das Brüderchen?" Ja, denke dir,"
sagte Mama, das ist nicht gekommen!" Aus Elsbeths Augen
kullerten Tränen. Der Ruprecht!" nickte sie. Das
ist schon so einer. Jetzt freue ich mich beinahe gar nicht."
Ja," meinte Papa, wir müssen ihn nächstes Jahr
einmal fragen, ob er denn deinen Brief nicht bekommen hat."
Nun half da ja nichts; Elsbeth mußte sich mit den anderen
Sachen zufrieden geben, und das ging ja auch, denn sie waren
wirklich sehr schön. Nachher wurden der Friedrich und
das Stubenmädchen und die Köchin und die Jungfer
von Mama gerufen, die bekamen auch ihren Teil. Die Köchin
kam zuletzt und war ganz aufgeregt und sagte: Gnädige
Frau, bei Doktors oben ist ein kleiner Junge angekommen."
Klein-Elsbeth stieß einen Schrei aus. Ein kleiner Junge?
Mama, Mama, das ist meiner. Der ist falsch abgegeben!"
Und mit blitzenden Augen stand sie vor der Mutter, ganz aufgeregt.
Ja, das kann man doch nicht wissen," sagte Mama bedenklich,
blinzelt zu Papa.
Doch." rief Elsbeth, ich habe ihn doch bestellt, Doktors
brauchen doch gar keinen. Bitte, bitte, schicke doch hinauf
und laß ihn holen. Tante Doktor gibt ihn mit gewiß,
das weiß ich. Ich habe ihr auch erzählt, daß
ich ein Brüderchen bestellt habe." Die Köchin
und die Zofe und das Stubenmädchen lachten, aber Papa
sagte ernsthaft: Na, heute wollen wirs nur oben
lassen, es wird natürlich sehr müde sein und erst
mal ordentlich ausschlafen wollen." Aber ich wills
doch sehen!" rief Elsbethchen. Fräulein, komm
doch nur mit, wir wollen hinaufgehen."
"Heute nicht, sei artig, Elsbeth," entschied Mama.
Elsbeth stieß ein Schluchzen aus und stampfte mit den
Füßen auf. Ihr seid schlecht - ganz schlecht
seit ihr ..."
Elsbeth - sagte Papa mit strengem Ton, den kannte sie schon, da war nicht gut Kirschen essen mit ihm. Unartigen Kindern nimmt der Weihnachtsmann alles wieder weg, das weißt du. Natürlich das Brüderchen auch." "Sie ging zu ihren Sachen, weinte noch eine Weile still vor sich hin ... Morgen ganz früh gleich gehen wir hinauf, nicht?" sagte sie zu Fräulein, als die sie zu Bett brachte. Ja freilich." Sie lag noch lange mit offenen Augen, lächelte manchmal glückselig ...
In
aller Frühe klingelte es bei Doktors. Als das Mädchen
öffnete, stand Klein-Elsbeth da, hochrot im Gesichtchen,
sagte gar nicht Guten Morgen", sondern bloß
sehr bestimmt: Ich will mein Brüderchen sehen.
Es gehört nämlich mir." Sie war dem Fräulein
durchgegangen, da sie noch mit Haarmachen zu tun hatte. Das
ist deins?" fragte das Mädchen erstaunt. Ich
denke doch, das ist der Frau Doktor ihres." Nein,
das habe ich mir bestellt, es ist bloß falsch abgegeben.
Und ich will mirs holen." Na, das glaube
ich nicht, daß sie dir das herausgeben," meinte
das Mädchen. Ich will mal den Herrn fragen, ob
du es sehen darfst, es wird gerade gebadet." Sie ging
fort, und statt ihrer kann der Doktor. Morgen, Elsbethchen.
Na, willst dus sehen? Dann komm mit. Aber es ist richtig
unseres, verlaß dich drauf." Ja wohl, ihr
wollt mirs jetzt bloß nicht geben. Ich hab mirs
bestellt und ihr nicht!" Doch, wir haben auch eins
bestellt." Aber Elsbethchen!" riefs
unten, und Fräulein kam mit halbgemachten Haar die Treppe
heraufgeflogen. Du lügst!" rief die Kleine
in leidenschaftlicher Erbitterung. Du sagst bloß
so. Und jetzt will ichs gar nichts sehen ..." Entschuldigen
Sie das Kind, Herr Doktor," sagte Fräulein. Meinen
herzlichen Glückwunsch! Es ist so ein merkwürdiger
Zufall ..."
Elsbethchen war schon auf der Treppe, und jetzt war Fräulein
bei ihr und meinte: Wir schreiben noch einmal an den
Ruprecht, da werden wir ja erfahren, wem es gehört."
Ja, aber gleich," nickte Elsbeth entrüstet.
Nun
saßen sie - sie hatten noch gar nicht gefrühstückt;
die Eltern lagen noch zu Bett - und Elsbeth diktierte, und
Fräulein schrieb: Lieber Knecht Ruprecht! Ich bin
sehr traurig" ...
Auf dem Korridor ging die Klingel. Das wird die Post
sein," sagte Fräulein und legte die Feder nieder,
ich will erst einmal nachsehn." Sie ging und kam
wieder mit dem Postboten, der trug eine große Kiste,
nickte Elsbethchen zu und meinte schmunzelnd: Da kommt
was für das Fräuleinchen." Und Fräulein
las auf der Begleitadresse und rief: Elsbethchen, da
steht: ,Absender: der Weihnachtsmann; da bin ich neugierig.
Ich will gleich Werkzeug holen und öffnen." Es stand
aber auch etwas blau gestempelt auf der Adresse, davon sagte
sie nichts, das hieß nämlich: Schucker und Kompanie,
Kohlenhandlung. Die Neugier, ehe die Kiste geöffnet war
und ausgepackt wurde! Erst viel Holzwolle; und dann: eine
Puppe, so groß, wie Elsbethchen noch keine gehabt -
ein kleiner Junge! Ja, was ist denn das?" kopfschüttelte
Fräulein und nahm einen Brief aus einem Kuvert, das dabei
lag. Und dann schrie sie: Denk doch nur an, der Weihnachtsmann
schreibt an dich: Liebes Elsbethchen! Der Knecht Ruprecht
läßt dich schön grüßen. Er hat
mir gesagt, du hättest dir einen richtiges lebendiges
Brüderchen gewünscht. Aber die sind dieses Jahr
schlecht geraten, und ich mußte erst den Leuten eins
bringen, die schon voriges Jahr eins gewünscht und nicht
gekriegt haben. Da hatte ich für dich keins mehr übrig
und schicke dir dafür noch ein extragroßes, das
zwar nicht lebendig aber sehr schön ist. Es grüßt
dich der Weihnachtsmann."
Dann ists doch richtig," sagte Elsbethchen betreten, es gehört Doktors. Ich freue mich gar nicht." Der Kohlenhändler, der den Brief an den Knecht Ruprecht in seinem Briefkasten gefun-den, hatte sich den Spaß gemacht; davon aber erfuhr Elsbethchen nichts. Noch am selben Tag aber war sie bei Doktors und besah das Brüderchen. Es war ein kleines, schrumpeliges Ding und quäkte gräßlich. Ganz krebsrot und häßlich sah es aus. Weißt du," sagte sie zu Fräulein, als sie von Doktors die Treppe hinuntergingen, jetzt ist mirs doch lieber, daß ich das Brüderchen nicht gekriegt habe; das, was mir der Weihnachtsmann geschickt hat, ist viel hübscher und auch viel artiger. Das andere können Doktors behalten."
(Victor Blüthgen, 18441920)