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Bunte Scheiben
Ein alter Mann geht durch die Straßen, das Gesicht so
nass vom schmelzend Schnee.
Sein Blick dringt durch die bunten Scheiben, ach' wie schamhaft,
zögernd,
steht dort das blutjunge Paar, "Großeltern sollt
ihr im Balde werden,
Vater, Mutter, eure Hände, wir es erbitten, reicht
sie uns nun dar!
Und alle Lieben und Verwandten sitzen dicht im Kerzenschein;
Das Verstehen, oh' göttlich Gabe, zieht in ihren Herzen
ein.
Er sieht die Mutter dort am Herde, vom lockend Bratenduft umhüllt.
Am Rock gedrängt von ihren Kindern Kleinen, so steht sie im Abendlicht;
Ach wie oft war nur der Kummer, der Sorge Schweiß in ihrer Börse,
doch die lachend, samtig dunklen Kinderaugen gibt neue Zuversicht!
Und alle Lieben und Verwandten sitzen dicht im Kerzenschein;
Kinderaugen fragen: Kommt es nun - das Christkindlein?
Der alte Mann blickt durch die weiten Straßen, unzählig Lichter
dort im Häusermeer. Lichter sie erzählen von dem Menschen
Freud und Leid; von ihrer Liebe, vom steten Kampf berichten -
und auch von so vieler Seelen trostlos, tiefer Einsamkeit!
Und alle Lieben und Verwandten sitzen dicht im Kerzenschein;
Stiller Friede, ein Strom der Liebe zieht in ihren Herzen
ein.
Er hält jetzt mit müden Füßen, vor ein
schmuckes Haus mit großem Tor.
Es steht dort ein neuer glänzend Wagen, kraftvoll, schick im Dekor;
Und so viel Stolz und Freude liegen auf des jungen Paares Angesicht;
Er jetzt verstehend lächelt, erfüllte Wünsche
- warum denn auch nicht!
Und alle Lieben und Verwandten sitzen dicht im Kerzenschein;
Hoffnung, und Aller Freude zieht in ihren Herzen ein.
Der alte Mann geht durch die Straßen, wie schwer von fallend
Sternen
ist jetzt sein langer roter Rock. "Dort am Haus will ich verweilen,
mich erfreuen an der Türe Kranzeschmuck". Wie laut sie sich öffnet:
"Wie närrisch", seine Frau so scheltend,
"bist du endlich nun zurück!"
Und alle Lieben und Verwandten sitzen dicht im Kerzenschein;
"Heilig Nacht" ihr alle höret - die Glocken
läuten sie jetzt ein!
(Reinhard Blohm - Brettin 2005)