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Der Dieb

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Der Dieb
"Fritzing, wo hast du de Blomen her?" Der 10-jährige Fritz hörte nicht, er stand mit auf dem Rücken verschränkten Händen am Bett seiner Mutter und schaute mit glücklichen Augen auf ihre Hände. Auf der schmutzigen Bettdecke, in den abgemagerten Händen seiner Mutter lagen eine Menge schöner Rosen, gelbe, rosa, weiße, dunkelrote Blüten, die einen süßen Duft durch die kleine armselige Dachstube sandten. Er starrte unverwandt auf die Rosen, auf die kranken Hände - ins Gesicht wagte er seiner Mutter nicht zu sehen. - "Fritzing, wo hest du all de Rosen her?", fragte sie nun zum zweiten Male, dabei griff sie nach seinem Arm und zog den Jungen dichter zu sich heran. Nun musste er antworten. "De hev' ick von'n ollen Herrn ,schenkt krägen, de stünn in sinen Goarden - jo, un dor hett he mi de Rosen ,schenkt." Fritz sprach über den Kopf seiner Mutter hinweg mit den Augen an die Wand - so ging das Lügen ganz gut, fand er. Die kranke Frau schüttelte den Kopf, aber ihre Augen lächelten, "dat gibt noch gode Minschen, nich Fritzing?" De Blomen hev' ick so giern, so schöne Rosen in uns' lütt' Stuv, dat makt allens hell un fründlich! Wenn du denn ollen Herrn weddersühst, Fritzing, dann dank' em ok schönstens von dien Modder, hürst du?" Fritz nickte eifrig - den alten Herrn würde er schon nicht wiedersehen, dachte er bei sich - dann trollte er sich aus der Stube. Draußen kratzte er sich den Kopf: "Dunnerslag, dat ha' jo noch good afgahn - äwer wat har se sich freut', as ick ehr de Blomen up dat Bett leggt har!". Befriedigt stieg er die vielen Treppen hinunter.

Von nun an brachte Fritz fast regelmäßig die schönsten Rosen in die kleine Dachstube, sie standen dann auf dem Tischchen vorm Bett, in einer alten Vase auf der Fensterbank und in der ausgedienten Milchflasche auf der Kommode. Das Gesicht der Mutter, fand Fritz, bekam einen ganz anderen Ausdruck, wenn sie auf all die Rosen schaute, er musste jeden Morgen frisches Wasser in die Vasen tun, musste die welken Blüten aussortieren, die Stängel mit dem Messer etwas verkürzen. In dieser kleinen Stunde lachte die kranke Frau sogar mit ihrem Jungen, ihre eingefallenen Züge belebten sich - die Rosen brachten ihr ein bisschen Glück und Lebensfreude, sie begann sogar auf Genesung zu hoffen. - Die Flurnachbarin, die ab und zu nach dem rechten sah bei Rabes, konnte sich nicht genug wundern über die schönen Blumen, sie nahm einmal aber Fritz beiseite und fragte ihn scharf aus nach der Herkunft der Rosen. Fritz hatte das Lügen nun schon gut gelernt, einmal war es der alte Herr, dann hatte eine Dame ihm die Rosen über den Zaun gereicht, dann hatte er sie auf der Promenade gefunden. Die Nachbarin gab ihm einen kleinen Klaps - schließlich ging es sie ja nichts an - indessen wurde das Rosen pflücken für Fritz immer gefährlicher - die Gartenbesitzer in der Vorstadt passten nun schon auf, es waren in der letzten Zeit zu viele Rosen aus ihren Vorgärten gestohlen worden. Im Ausgang des Sommers bezog Fritz von einem Herrn so mörderische Prügel, dass er sich nur mit Mühe hinter eine Hecke schleppen konnte und dort eine ganze Weile liegen bleiben musste. Dann stand er stöhnend auf, ging zurück und stahl eben diesem Herrn die letzten 4 Rosen vom Strauch. - Das war der Augenblick, in dem im Gemüt des Knaben zum ersten Mal