Lyrik und Poesie
- Geschichten und Erzählungen -

Das Märchen vom verlorenen Röcklein

Teil 2 - Das Märchen vom verlorenen Röcklein -

Teil 2 - Die Königin
Bäume standen umher, groß und wild, mit mächtigen Kronen und Sträucher, zu wilden Gebüschen verwachsen, folgten dem Lauf des Baches. Das Königskind faltete die Hände vor Entzücken. Ach, im Park hatten sie nicht so einen einzigen Baum und im Park floss nicht so ein einziges Bächlein. Da war nur der Springbrunnen, um welchen die Kugelbäumchen standen und die steinernen Figuren. Und nicht ein einziges blaues Blümchen wuchs dort, wie sie hier am Bachesrand in Mengen wuchsen! Ach, diese hier musste sie der Mutter heimbringen! Das Mädchen bückte sich, die Blauen Blumen zu pflücken, und suchte die schönsten heraus und pflückte weiter Bachaufwärts, - und hatte bald die kleine Pforte hinter sich vergessen.
Die Begegnung

Ein kleiner Vogel begleitete das Königskind. Er hüpfte von Busch zu Busch, und flirrte und schwirrte und sang: "Königskind, Königskind, kehr um geschwind!". Doch das Königskind hörte nicht. Es hatte vor Eifer rote Wangen bekommen und blanke Augen, und trug den Arm voller himmelblauer Vergissmeinnicht. Der Vogel rief weiter: "Königskind, Königskind!", doch mit einem Male schwieg er. Ein anderer Ton hatte sein Pfeifen überdeckt. Ein Flötenton war es, sanft und süß, eine kleine Melodie so hell wie der Himmel und so zart wie das Vergissmeinnicht im Arm des Königskindes. Das Mädchen hob den Kopf und lauschte. Voller Angst schrie der kleine Vogel: "Königskind, Königskind!" Es hörte nichts mehr. Zögernden Schrittes ging es in die Wiesen hinein, der süßen Melodie folgend, welche aus der riesigen Krone eines uralten Baumes lockte und rief. Über die Weide flatterte eine Schar Gänse dem Mädchen entgegen. Sie schrieen mit gereckten Hälsen und schlugen mit den Flügeln, so dass das Königskind in Schrecken stand. Es verstummte die Melodie aus der Höhe. Ein scharfer Pfiff ertönte und sofort verstummte das Gänsegeschrei. Aus dem Baum aber kam ein Knacken und Brechen und ein Jüngling sprang aus ihm auf die Erde. Er schaute dem Königskind entgegen mit lachendem Gesicht. "Bist du der Gänsehirte?" fragte das Mädchen. "Ich bin der König dieser Wiese!" Das Mädchen schaute sich um, "wo sind deine Diener und wo ist dein Schloss" Er lachte mit blitzenden Zähnen "meine Diener sind die Gänse, mein Schloss ist jener Baum, in dessen Höhe ich saß." "Und wer gießt deine Blumen?" - "Der Regen!" - Er lachte abermals. "Und wer beschneidet deine Bäume?" Er antwortete mit leuchtenden Augen: "Der Sturm!" "Und wer lehrte dich, diese süße Melodie zu spielen?" Da trat er zurück und schaute still auf die Schalmei in seiner Hand. "Mein eigenes Herz." Das Königskind schaute den Jüngling an. Er gefiel ihr über die Maßen. "Spiele weiter, bat sie, ich höre es so gern!". Er begann sein Spiel aufs Neue. Die Blumen auf der Wiese schienen zu tanzen, die Gräser wiegten sich im Reigen. Das Bächlein lachte und gluckste, die ganze grüne Erde lächelte im Sonnenglanz.
Fern, fern verklang der Ruf des kleinen Vogels: "Königskind, Königskind!"