
Es war einmal ein Schäfer.
Er war jung und schön und sein Herz war gut, sosehr gut, daß die Leute des Dorfes, deren Schafe er hütete, die Achseln über ihn zuckten und meinten, er sei eben ein Sonderling.
Seine Mutter war früh gestorben und die zweite Frau des Vaters hatte dem vereinsamten Knaben keine Heimat geboten. So hatte die Dorfgemeinde sich seiner bemächtigt. Sie stellte ihn an, wo sie seiner bedurfte. Seit Jahren nun hütete er die Schafe, zog mit ihnen durch Wald und Heide, behütete ihr Kommen und Gehen auf dieser Welt und war in ihr Dasein verwoben in einer feinen, ein wenig träumerischen und weltabgekehrten Weise.
Er ist ein Hintersinniger, sagten die Dorfleute, und die Mädchen lachten heimlich über ihn.
Es geschah eines Abends, daß beim Eintreiben seiner Herde in den Sommerstall, welcher inmitten einer großen Waldwiese lag, der Schäfer eines seiner Lämmer vermisste. Nicht eines der kleinen ungeschickten, die selten erst von der Mutter wichen sondern eines der größeren, der langsam sicher werdenden, deren Tatendurst und wachsende Lebenslust sie täglich zu allerhand besorglichem Unverstand antrieb. Suchend ging er zurück in den Wald, lockte auf seiner Flöte und horchte ihr nach in den Abend hinein.
Allmählich war er in die Nähe eines großen Bruches gekommen, welcher in wilder Einsamkeit inmitten des Waldes lag. Hier, am Rande der Stille, hörte er das klägliche Rufen des Verirrten. Dämmerung stand bereits über dem Moor - erste, weisse Schleier hoben sich aus den Gräben. Vorsichtig ging er dem Klagen nach, musste den festen Pfad verlassen, und schliesslich, angesichts seines bereits bis zum halben Leib eingesunkenen Schäfleins, von Grasinsel zu Grasinsel springen. Mit festem Griff ins Fell zog er das jammernde und strampelnde durch den Schlamm hindurch bis an den festen Weg. Schon hatte er das Tier hinauf gedrängt, als ein Ungeschick ihn ausgleiten ließ. Er rutschte ins Moor hinein und hatte selbst nun Mühe, aus dem schwarzen Schlamm sich heraus zu arbeiten.
Die über dem Moor ziehenden Nebel hatten sich verdichtet. Nun, als der junge Schäfer soeben sich emporzog, glitt ein weißer Schleier auf ihn zu. Plötzliche Kälte umfing ihn. Mit Schauern sprühte er, wie kühle Arme sich um seinen Hals schlangen. Nein, dachte er, nein, und drehte entsetzensvoll den Kopf zur Seite. Da sah er auf seiner Schulter ein weißes Gesicht. "Nein", sagte er laut und wieder "nein", und zog mit aller Kraft sich ans Land. Die Arme jedoch ließen nicht ab von ihm. Sie wurden schwer wie Blei und schienen ihn zurückziehen zu wollen mit unmenschlicher Kraft. "Nein", schrie er laut und abermals "nein" - da lag er ächzend