zog zu seiner Verwunderung einen kleinen, ärmlichen Rosenkranz hervor. Mit einem Freudenlaut griff das Mädchen danach, führt ihn an die Lippen, bekreuzigte ihn und sich und stammelte ein Gewirr von glücklichen Worten. Petersen sah sich den kleinen Rosenkranz genauer an, auf einen einfachen Bindfaden waren kleine runde Holzkugeln aufgereiht, zwei schwarze, eine rote, dann dreizehn weiße Kügelchen, dazwischen hing eine Blechmedaille mit dem Bild des Mutter Gottes und dem Christusknaben. Nun verstand er den Jammer über das Verlorene und freute sich, dem Mädchen beim Suchen geholfen zu haben, nun begriff er auch, wieso dieses russische Wort nicht in seinem Kriegswörterlexikon gestanden hatte. Lächelnd blickte er auf das Mädchen nieder und jetzt erst fiel ihm auf, dass sie ein überaus anziehendes, feines Gesichtchen hatte. Unter dem bunten Kopftuch schauten die dunklen Augen mit Demut und Bescheidenheit. Das Mädchen nahm das Rosenkränzlein wieder an sich, küsste den großen Soldaten urplötzlich mit einer raschen Bewegung die Hand und war wie der Wind in einem der niedrigen Holzhäuser verschwunden. Heinrich Petersen stand und guckte ihr nach, dann machte er kehrt und ging lustig vor sich hinpfeifend den Weg durchs Dorf, das ihm jetzt bedeutend freundlicher erschien, zurück in sein Quartier.
Das Regimentsquartier lag außerhalb des Dorfes in einem größeren Gehöft, während die gesamten Batterien des Schweriner-Feld-Artillerie-Regiments in den Bauernhäusern, Scheunen und Ställen des Dorfes untergebracht waren. So kam es, dass Petersen auf seinen Dienstgängen zum Stab fast täglich an dem kleinen Bauernhaus vorüberkam und es war wohl nicht immer Zufall, dass er dem Mädchen dabei öfter begegnete. Die ersten male nickte sie ihn nur sehr verschämt zu, dann allmählich blieben sie beide stehen und schließlich warteten sie schon aufeinander. Heinrich Petersen bekam mit vieler Mühe heraus, dass sie Stanislawa hieße und bei einer alten Verwandten wohnte. Sie war 17 Jahre und hatte ihre Eltern sehr früh verloren. Eines Tages führte sie ihn auch zu ihrer alten Annuschka ins Haus, einer uralten Bäuerin, die ihn aus ihrem runzligen Gesicht mit freundlichen Blicken begrüßte. Heinrich sah sich um in dem niedrigen Raum. Er war erstaunt, wie sauber eine so bescheidene Stube aussehen konnte; die Holzbänke und Stühle und der breite Tisch waren blitzblank gescheuert, ein einfacher, sehr großer Schrank war das Prunkstück des Raumes, es gab sogar saubere Vorhänge an den Fenstern. Der gewaltige russische Herd, auf dem während der strengsten Winterzeit die ganze Familie Platz nimmt, stand an der hinteren Wand, ein geblümter Vorhang verdeckte die Bettnische in einer Ecke des Zimmers.
So kam es ganz von selbst, dass Heinrich Petersen die langen Winterabende bei dem Mädchen und der alten Annuschka verbrachte. Kam die frühe Dämmerung