dir und - Mutter - nimm meine kleine Stanislawa in Güte auf! Ich habe sie lieb, sie ist rührend gut, sie ist tapfer und treu, auch du wirst sie lieb gewinnen." Heinrich wendete im Singen den Kopf, irgend etwas zog an ihn herum, er suchte mit den Augen durch die Dunkelheit, als erwarte er etwas, aber nichts rührte sich zwischen den schwarzen Stämmen. "Stanislawa, du Liebe, ich werde dich holen sowie der Krieg zu Ende ist. Der Krieg treibt uns auseinander, aber er hat uns auch zusammengeführt, nicht wahr?" Wieder suchten Heinrichs Augen in der Dunkelheit zwischen den Stämmen, rührte sich dort nicht etwas neben der großen Kiefer? Es war wohl Täuschung. Finsternis starrte ihm entgegen, Finsternis um ihn und Finsternis vor seinem Schicksal. Er zog fröstelnd und müde die Schultern zusammen, fror plötzlich bis tief ins Herz hinein. Ihm war, als griffe eine eisige Hand nach seinem herzen, unendliche Traurigkeit sank auf ihn herab. Warum schickte nicht Gott seine Engel vom Himmel, um diesem Grauen auf Erden Einhalt zu gebieten? Stille Nacht, Heilige Nacht, Gott sandte nur die weißen Flocken um das Grauen zu bedecken, um die vielen tausend Hügel auf der erde mit seinem weißen Leichtentuch zuzudecken.
Auch das Singen verstummte, müde und traurig standen die Kolonnen die ganze lange Winternacht, gegen Morgen erst kam der Zug.
Als das Getöse auf der kleinen Station vorüber war, als der Zug mit Menschen, Tieren und Geschützen den Blicken entschwunden war, löste sich eine taumelnde Gestalt zwischen den Bäumen und wandte sich heimwärts. Stanislawa hatte die ganze Nacht mit im Walde verbracht, hatte in einiger Entfernung von ihrem Liebsten im dichten Gestrüpp gestanden, hatte wenigstens noch ab und zu seine Stimme vernommen. Wie ein treues Tier war sie ihm schon vom Dorf aus gefolgt. Frierend und unsagbar verlassen schlich sie nun den weiten Weg zurück. Er kam nicht wieder, sie wusste es, er würde nicht kommen sie zu holen, sie war nun allein. Allein? Auf diesem mühseligen todtraurigen Heimweg, in diesem kalten, grauweißen Wintermorgen fühlte Stanislawa zum ersten Male, dass sie nicht allein sein würde, spürte sie zum ersten Male ein kleines beginnendes Leben in ihrem Leib. Sie erschrak nicht, sie empfand eine unendliche Süßigkeit und zugleich beglückende Ruhe: Nun war er doch bei ihr geblieben, nun hatte sie ihn für immer bei sich! Eine tiefe Dankbarkeit quoll in ihr auf, sie fasste ihr Rosenkränzlein, das sie die ganze Nacht in den Händen gehalten hatte, fester: "Heilige Maria, dank dir für das Glück, das du mir geben willst! Dank dir für die Liebe, die du mir gegeben hast, oh heilige Mutter Gottes." Mit der tiefen Ruhe, die über sie gekommen war, griff aber auch eine schwere Müdigkeit nach ihr. Sie konnte sich kaum vorwärts schleppen, die Füße wurden lahm, nur mit äußerster Anstrengung kam sie durch den Schnee. Als Stanislawa in der Frühe bei ihrem Hause anlangte, glaubte sie Jahre gewandert zu sein.
Heinrich Petersen konnte sein Versprechen, Stanislawa zu holen, nicht einlösen. Ein kleiner Hügel, auf dem schon die ersten Frühlingsblumen blühten, wölbte sich über seinem Grab auf französischer Erde, ein schlichtes Holzkreuz trug seinen Namen.
Stanislawa aber saß im russischen Spätsommer im Schatten der alten Bäume vor dem Dorf und wiegte ihr Kind im Arm. Verklärt blickte sie auf das kleine Wesen in ihrem Schoß herab und sang kleine zärtliche Wiegenlieder vor sich hin. Sie würde zum Winter einen guten russischen Bauern aus dem Dorf heiraten und sie würde noch viele, viele Kinder bekommen, aber das wusste sie genau: Keines würde sie so lieb haben wie dieses hier auf ihrem Schoß. Und sie beugte sich herab zu ihrem kleinen Jungen, küsste ihn auf sein rosiges Gesichtchen und flüsterte zärtlich in der Sprache seines Vaters: "Mein süßer Bub."
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