
Der kleine Fritz Bäumer hockte noch immer auf der Kante des großen Sessels am Erkerfenster. So saß er schon eine ganze Zeit, die Arme auf die Fensterbank gestützt, die vereinsamten Kinderaugen auf die Straße unter ihm gerichtet. Er war für seine 8 Jahre viel zu klein und schmächtig, sein Gesicht war zart wie das eines Mädchens, sein helles Haar weich wie Seide, auch seine Stimme war gar nicht wie die eines Jungen. Er schaute sehnsüchtig auf die Straße; heute würde es wieder nichts mit spazieren gehen, er wäre so gern ein wenig draußen gewesen in der frischen Winterluft, aber Fräulein hatte wieder einmal keine Zeit, mit ihm ins Freie zu gehen. Sie musste plätten, hatte sie zu ihm gesagt und er hörte sie auch aus der Küche laut mit dem Mädchen lachen. Fritzchen war es gewöhnt, dass sich um diese Zeit niemand um ihn kümmerte; morgens in der Schule, Mittagessen mit dem schweigsamen Vater, gleich nach dem Essen die langweiligen Schulaufgaben unter Ohrfeigen und Schelten von Fräulein und dann war nichts. Dann langweilte er in der Wohnung herum, versuchte hier und dort zu spielen, zu lesen Bilder zu besehen, aber alles scheiterte an seiner Einsamkeit, da sich kein liebendes Herz dieses mutterlosen kleinen Jungen erbarmte. So landete er meist um diese Nachmittagsstunde hier im Erker, schaute mit seinen stillen Augen herab in die Straße und beobachtete mit Sehnsucht und Entzücken das ewige Kommen und Gehen, das Hasten, Fahren und Tuten, das Drängeln und Klingeln. Er verfolgte mit seinen Augen einzelne Gestalten auf ihrem Weg, wie sie an den Schaufenstern stehen blieben, weitergingen und mit Paketen wieder hervortraten. Fritzchen zitterte vor Aufregung, wenn einer in ein Geschäft hineinging, er ging Wetten mit sich selber ein, ob der Betreffende mit oder ohne Paket wieder zum Vorschein kommen würde und er jubelte, wenn ein so ahnungslos Beobachteter mit Paket auf die Straße trat. Die alten Herren hatten die Pelze hochgeschlagen, die Damen hatten rote Wangen vom frischen Wind; noch war es kalt und winterlich, wenn auch der März schon Einzug gehalten hatte. Da, Fritzchen atmete tief, da kam der Laternenzünder um die Ecke, seinen langen Staken über der Schulter ging er von Laterne zu Laterne, die noch Zeugen einer längst vergangenen, geruhsameren Zeit, am Bürgersteig stehen gelassen waren. Die Laternen warfen ein gelbes mattes Licht auf den Schnee, dann strahlten die Bogenlampen über der Mitte des Fahrdammes auf, die Straße mit ihrem Gewoge in ein weißes, festliches Licht tauchend. Fritz sah unruhig auf die Haustür seitlich unter seinem Fenster, nun musste Grumkow doch bald kommen. Richtig, da wurde die Haustür auch schon mit einem Krach aufgestoßen und Grumkow erschien, mit äußerster Anstrengung einen vollbeladenen Ascheimer vor sich hinschleppend, um ihn neben die Tür zu stellen. Bernhard Grumkow wischte die Hände unvorschriftsmäßig aber desto kräftiger an seiner dunklen Joppe ab, dann verschwand er wieder unter dem Türbogen. Er kam mit einem zweiten Ascheimer, mit einem dritten, vierten. Als sechs Ascheimer in Reih' und Glied an der Hausfront aufgestellt waren, der morgendlichen Abholung harrend, besah Bernhard stolz sein Werk, fuhr befriedigt mit der schmutzigen Hand nach der schmutzigen Nase, wischte wieder an seiner Jacke entlang und verschwand