"Ich werde euch nicht mehr davonlaufen, Junker."
"Anne", rief er beglückt und wollte sie an sich ziehen. Aber schon hatte Anne sich losgerissen und wandte sich in eiliger Flucht dem Tore zu.
Verdutzt schaute er ihr nach. Dann begann er zu lachten.
"Ihr wolltet mir doch nicht mehr davonlaufen, Anne?"
Sie wandte sich mit hellem Gesicht nach ihm um.
"Aber so hatte ich es nicht gedacht!"
"Wie denn dann?", rief Michael lachend und rannte hinter ihr her. Anne war eine gute Läuferin. Erst am Tor holte Michael sie ein.
"Nein, Junker", sagte Anne noch ganz außer Atem, "so dürft ihr mir nicht kommen." Der Klang ihrer Stimme aber stand ganz im Gegensatz zu ihren Worten. "Ihr kennt mich kaum, ich kenne euch kaum - und da dürft ihr doch nicht einfach -----."
Sie suchte nach Worten, wandte verwirrt das Gesicht von ihm ab.
"Was darf ich nicht einfach .....?" Michael fragte ganz ruhig.
Doch als Anne von der Seite her einen schnellen Blick auf sein Gesicht warf, als sie ein verräterisches Zucken um seinen Mund sah, ward sie böse.
"Ihr seid mir zu dreist, Junker."
Er trat einen Schritt von ihr zurück. "Das ist nicht euer ernst."
"Doch", trotzte sie ihm entgegen und warf den Kopf in den Nacken. Dann sah sie seine Augen.
Mit einer bittenden Gebärde streckte sie ihm die Hände entgegen.
"Es war doch alles Spaß, Junker."
"Alles, Anne Brinkmann? Auch die Zusage?"
Eine Weil schwieg Anne. Dann erwiderte sie leise: "Nein, die Zusage nicht."
Dieses Mal war Michael vorsichtiger. Er gab mit einem sanften Druck Annes Hände frei, ging langsam neben ihr durchs Tor.
Der Torwart, der über ihnen aus der kleinen Dachluke des Turmes herausgeschaut hatte, schüttelte den Kopf über soviel Jugend und Liebe, die von den beiden förmlich auszustrahlen schien. Er fasste in seinen langen, weißen Bart und schaute betrübt in die lachende Sommerlandschaft: "Ja, ja, man ist alt."
Unten auf der Straße fragte Michael: "Wann sehe ich euch wieder, Jungfer Anne?"
"Morgen um diese zeit."
"Auch ganz bestimmt?"
"Ich sagte euch doch, Junker: Ich laufe euch nicht mehr davon", erwiderte Anne seinem forschend Blick.
Am nächsten Morgen war Michael pünktlich zur Stelle.
Wer jedoch ebenfalls pünktlich zur Stelle war - zuerst von ihm mit leisem Groll, dann mit lächelnder Betrübnis wahrgenommen - das waren Annes kleine Freunde aus der Nachbarschaft.
Die Kinder spielten vor Annes Haus. Als sie den Junker unter dem Tor gewahrten, stürzten sie auf ihn zu, ihn als Freund zu begrüßen.
"Wartest du auf sie? Magst du sie gern leiden? Willst du mit uns spielen? Zeigst du uns dein Schiff, Junker?"
Da gesonderte Antworten auf die vielen verschiedenen Fragen in diesem Getöse nicht möglich waren, so beantwortete Michael alle Fragen mit einem lachenden "ja" und löste damit riesigen Jubel aus.
Als Anne aus dem Haus trat, strömte ihr die Kinderschar entgegen. Unter Lachen und Schreien wurde sie durch die Knirpse von Michaels Vorhandensein unterrichtet. Auch ein Nichteingeweihter, der zufällig die Straße begangen hätte, würde ohne Mühe aus ihren reden den Sachverhalt begriffen haben.
Stand nicht an der Ecke der Straße, die nach dem Hafen hinunterführt, eine braune Gestalt und starrte auf die fröhliche Schar? Die Augen wurden schmal und der Mund scharf im Gesicht des Lauschenden.
Ob sie wollten oder nicht, Anne und Michael mussten mit den Kindern gehen. Sie zogen auf die Wiese hinaus.
"Zu Zweien ist es doch besser und leichter auf Kinder acht zugeben, als allein! Nicht wahr, Jungfer Anne?"
"Ja", antwortete Anne und bückte sich sehr umständlich nach einem rosaroten Gänseblümchen, "Ihr habt auch eine besonders gute Art mit Kindern umzugehen."
"Bekomme ich für "meine besonders gute Art" wohl das Gänseblümchen geschenkt?"
Er griff zugleich nach der Blume und Annes Hand.
Da stürmten die Kinder wieder heran.
"Wir wollen spielen, Jungfer Anne! Gretchen weiß ein schönes Spiel!" Anne, die das Spiel nicht kannte, musste sich auf einen kopfgroßen Stein setzen, den Klaus mit Anstrengung und Würde herbeischleppte. Das war gar nicht einfach, doch Anne löste diese Aufgabe mit viel Geschick und Lachen. Die Kinder bildeten einen Kreis um sie.
"Wer ist der Prinz? - Klaus ist der Prinz! - Klaus soll der Prinz sein, er ist der Stärkste!"
Die Stimmen tönten aufgeregt durcheinander. Dann trat Ruhe in. Klaus stand außerhalb des Kreises, ebenso wie Michael, der mit gemischten Gefühlen zu sah, da Anne ihm wiederum entglitten war. Die Kinder fassten sich bei den Händen und begannen um Anne im Kreis herum zu gehen. Sie sangen:
"Schön' Anne saß auf einem Stein, einem Stein, einem Stein.
Schön' Anne saß so ganz allein, ganz allein!