helles Gesicht. Heimlich sei er ihr nachgegangen bis zu ihrem Hause und habe seine Gedanken nicht mehr von ihr lassen können.
"Viele Mädchen sehe ich in den fremden Städten, doch nie sah ich ein klareres Angesicht als deines, Anne! Längst ist es der Wunsch meines Vaters, dass ich heirate. Das Mädchen, das ich heimführe, wird mit offenen Armen von ihm aufgenommen, denn er vertraut mir. Auch wird er Dich lieb gewinnen, Anne - so wie ich niemals aufhören werde, Dich zu lieben!"
Sie standen unter den hohen Bäumen des Stadtwalles. Schattige Kühle umfing sie. Weitab lag das Getriebe des Tages.
Michael hatte Anne an sich gezogen, ihr empor gewandtes Gesicht ruhte an seiner Brust. Seine letzten Worte waren wie in Schwur. Er neigte das Haupt und küsste ihren Mund.
"Willst du mir folgen, Anne, zu Lande und zu Wasser, überall hin? Willst du mein Leben mit mir teilen und mein geliebter Kamerad sein?" Annes ernste Stimme klang wie eine Glocke: "Bis in den Tod!"
Es war fast Mittagszeit, als Anne und Michael am Mühlentor vorbei den Weg einbogen, der am Rande der Warnowiesen zum Petritor führt.
Annes Gesicht war rosenrot übergossen. Ihre so oft herbgeschlossenen Lippen standen ein wenig geöffnet, als hätten sie sich nach der Süße der Letzten Stunde noch nicht wieder zu schließen vermocht. So versunken schritten die beiden ihres Weges, dass sie förmlich erschraken, als kurz vor dem Tor ein rothaariger Mann auf sie zusprang.
"Herr Junker Rhode", rief dieser und zog freudigen Angesichts seinen Hut vor dem Paar, "das hätte ich nicht gedacht, dass ich euch in Rostock wiedersehe!"
Michael löste seinen Arm von Anne. Auch er machte ein erfreutes Gesicht, schüttelte dem Mann die Hände.
"Jörg, dass du mich nicht vergessen hast! Du triffst mich zu glücklichster Stunde! Diese Jungfer hier ist seit einer Stunde meine liebe Braut!"
Er umfasste Anne und zog mit der anderen Hand den sich nochmals höflich verneigenden Jörg heran.
"Anne, das ist der rote Jörg, der größte Zauberkünstler und Feuerspeier vom Hamburger Dom, dem ich, oder vielmehr mein Vater vor einiger Zeit einen kleinen Dienst erweisen konnte."
"Kleiner Dienst?" lächelte Jörg. "Jungfer, der Junker Rhode schnitt mich sozusagen vom Galgen ab."
Michael wurde ernst.
"Du weißt so gut wie ich, Jörg, dass du nicht der Missetäter warst, und dass obendrein das Hängen den Hamburgern ein sehr liebes und schnelles Handwerk ist!"
"Ja, ja, ich weiß", murmelte Jörg, ein verächtliches Zucken ging um seinen Mund, "die Hamburger haben ihre Galgen sehr dicht vor ihre Tore gestellt."
"Aber nun, Jörg, wie geht es deiner kleinen Familie?"
"Ach Herr", ein Schatten ging über Jörgs verwegenes Gesicht, "seitdem ich in Hamburg meinen guten Gehilfen verlor, scheint das Unglück mich zu verfolgen. Mein kleiner Sohn liegt seit Wochen krank im Wagen und meine Frau wird täglich mutloser."
"Was fehlt ihm, Jörg?"
"Wir wissen es nicht, Herr. Er hat das Fieber und hustet viel."
Plötzlich fühlte Michael Annes Hand in der seinen. In dieser Bewegung lag ein solcher Ausdruck von Zusammengehörigkeit , dass es ihm heiß zum Herzen stieg.
"Darf ich wohl euren kleinen Sohn einmal sehen?" fragte Anne. Und zu Michael gewandt, fuhr sie fort: "Ich verstehe etwas von der Krankenpflege, denn bei uns auf dem Darss sind wir gewöhnt und angelernt, einander zu helfen."
"Liebe Anne", sagte Michael leise.
Sie gingen über die Wiese dem etwas abseits stehenden Wohnwagen zu. Er stand nahe dem Warnowufer auf einer trockenen Bodenwelle. Eine kleine Treppe führte zur Tür des Wagens hinauf, die trotz des herrlichen Sommerwetters geschlossen war. Auch die beiden Fenster an den Wagenseiten waren verhängt und nicht geöffnet. Jörg stieg als erster in den Wagen, Anne und Michael folgten.
Fast wäre Anne zurückgeprallt vor der Luft, die das Innere des Wagens füllte. Sie bezwang sich jedoch.
In einer Ecke des Raumes lag auf einem sauberen Lager der kranke Knabe. Er war übermäßig bedeckt mit Betten und Decken, so dass nur sein schwarzer Haarschopf und das glühende Gesicht zu sehen waren. Kurze, kleine Atemzüge kamen zwischen seinen vom Fieber aufgesprungenen Lippen hervor. Er hielt die Augen geschlossen, so dass die langen, schwarzen Wimpern auf seinen Wangen lagen und ihm ein wunderschönes Aussehen gaben.
Anne beugte sich über den Schlummernden. Zart strich sie über seine Stirn, schaute ihn aufmerksam an.
Bei ihrem Eintritt hatte sich eine junge, überaus zarte Frau vom Kopfende des Krankenlagers erhoben. Sie stand nun an die Wand gedrückt und starrte das fremde Mädchen mit großen, schwarzen Augen unbeweglich n.
Anne wusste im ersten Augenblick nicht, was sie tun sollte. Sie hatte erwartet, eine besorgte Mutter, eine erwachsene Frau vorzufinden und blickte nun in das Gesicht eines mädchenhaften, wunderschönen Geschöpfes, das vor Angst und Gram sich aufzulösen bereit schien.
Mit einer zarten Bewegung trat Anne auf die junge Frau zu.